"Kinder emotional zu stärken ist der beste Schutz"

Anlässlich des heutigen Tages für gewaltfreie Erziehung haben wir Carina Dreyer, Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens Farbkleckse in Hürth, gefragt, wie das Recht auf gewaltfreies Aufwachsen von Kindern in der Kita praktisch umgesetzt werden kann.

Carina Dreyer, Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens Farbkleckse

Mit dem Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes am 1. Januar 2012 hat der Gesetzgeber den Schutz von Kindern innerhalb von Institutionen verstärkt in den Blick genommen. Das Gesetz fokussiert – entsprechend zu den Regelungen zum Schutz der Kinder vor Gewalt in der UN-Kinderrechtskonvention und im BGB – besonders auf den institutionellen Kinderschutz. Dadurch wurden auch Träger von Kindertageseinrichtungen sehr viel stärker in die Pflicht genommen. Sie mussten Kinderschutzkonzepte entwickeln, in denen sowohl Präventionsmaßnahmen wie auch Interventionsmaßnahmen zum Schutz von Kindern festgelegt sind.

Bei FRÖBEL haben die Kinderrechte einen sehr hohen Stellenwert, insbesondere das Recht auf gewaltfreies Aufwachsen. Seit 2017 läuft bei FRÖBEL eine zweijährige Kampagne in den Einrichtungen. Im ersten Jahr beschäftigten sich die Teams intensiv mit der Umsetzung des Kinderschutzes innerhalb der Institution Kita. In diesem Jahr soll das soziale Umfeld der Kinder stärker in den Blick genommen und folglich die Eltern mit einbezogen werden.

Anlässlich des Tags für gewaltfreie Erziehung am 30. April haben wir Carina Dreyer, Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens Farbkleckse in Hürth (Nordrhein-Westfalen) zu den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen befragt. Im Kindergarten werden 102 Kinder im Alter von 4 Monaten bis zum Schulalter von 22 pädagogischen Fachkräften betreut. 

Frau Dreyer, Sie haben sich im vergangenen Jahr gemeinsam mit Ihrem Team anhand von Arbeitspapieren intensiv mit dem Thema Kinderschutz innerhalb Ihrer Einrichtung beschäftigt. Dabei ging es auch viel um die Reflexion der eigenen Haltung und deren Einfluss auf den Umgang mit Kindern. Wie ist das abgelaufen?

Die Impulspapiere, die wir monatlich als Unterstützung für den Teamprozess bekamen, boten den perfekten Einstieg in das Thema. Im ersten Papier beschäftigte sich mit einer Rede von Astrid Lindgren in der sie eine Geschichte zur Tradierung von Gewalt in der Erziehung erzählt. Mit dem Blick auf die eigene Sozialisation hinterfragte jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter im Team die persönliche Haltung zum Recht der Kinder auf ein gewaltfreies Aufwachsen. Angeregt diskutierten wir die Frage: Welchen Einfluss hat meine eigene Biografie auf meine Haltung und meine Reaktionen gegenüber Kindern? Ich denke, dadurch fühlten sich alle abgeholt und gut auf das Thema vorbereitet.
Anhand der folgenden Impulspapiere beschäftigten wir uns intensiv mit Sprache und (verletzenden) Formulierungen, dem Umgang mit (eigenen) Gefühlen, Machtverhältnissen, Selbstbestimmung und der Sinnhaftigkeit von Strafen in der Erziehung. Das Team hat sich in diesem Prozess sehr offen, interessiert und sehr konstruktiv gezeigt.

Welche neuen Erkenntnisse gewannen Sie?

Im Hinblick auf Gewalt durch Sprache und unbedachte Formulierungen hatten wir viele Aha-Momente. So sind wir jetzt zum Beispiel noch sensibler im Hinblick auf Ironie in der Kommunikation mit Kindern. Sehr spannend war auch die Beschäftigung mit dem Thema Selbstbestimmung der Kinder – hier wurde uns klar, dass jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter tatsächlich unterschiedliche Grenzen hat. Was für eine Mitarbeiterin durchaus akzeptabel ist, kann ein anderer Mitarbeiter bereits als Grenzüberschreitung empfinden. An dieser Stelle erkannten wir, wie wichtig es ist, sich im Team offen darüber zu verständigen und eine gemeinsame Linie zu finden.

Hat sich die tägliche Arbeit in Ihrer Einrichtung dadurch verändert? 

Ja, ich nenne mal ein Beispiel. Wir haben gelernt: Es ist normal, wenn uns Kinder auch einmal an unsere Grenzen bringen, und kein Zeichen mangelnder Geduld oder Kompetenz. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen die Möglichkeit nun häufiger, sich in Grenzsituationen Hilfe durch eine*n Kolleg*in zu holen, und ich sehe eine große Bereitschaft im Team zur gegenseitigen Unterstützung. Wir gestalten das immer ganz transparent, so dass die Veränderung der Situation auch für das involvierte Kind nachvollziehbar ist. Wichtig ist: Das Kind wird in so einem Moment niemals allein gelassen. Das haben wir so auch in unseren Verhaltenskodex für Mitarbeiter*innen hineingeschrieben. Insgesamt hat sich die kollegiale Achtsamkeit durch den Prozess verbessert.

Nehmen die Kinder Veränderungen wahr, was denken Sie?

Wir haben schon immer viel mit den Kindern Gefühle wie Wut oder Eifersucht thematisiert und durch Angebote wie „Ringen und Raufen“ den Umgang mit Körperlichkeit und deren Grenzen geübt, um die Kinder emotional zu stärken. Vielleicht haben die Kinder aber gemerkt, dass wir Erwachsenen bei Konflikten der Kinder untereinander nun eher versuchen, uns emotional zurück zu nehmen und eine moderierende Haltung einzunehmen. Die Bewältigung von Konflikten ist viel nachhaltiger, wenn die Kinder selbst aktiv den Lösungsprozess gestalten. Das bedeutet dann zum Beispiel, dass das übergriffige Kind dem betroffenen Kind ein Kühlpack holt und es tröstet – es aber auch aushalten muss, wenn das betroffene Kind eine Entschuldigung in diesem Moment nicht akzeptieren möchte. Natürlich greifen wir als Fachkräfte aber ein, wenn Übergriffe gegen ein bestimmtes Kind sich wiederholen oder ein Kind sich selbst noch nicht ausreichend helfen kann.

Wurden strukturelle Veränderungen angestoßen, um den Schutz der Kinder innerhalb Ihrer Einrichtung noch zu verbessern?

In diesem Punkt sind wir als FRÖBEL-Einrichtung aus meiner Sicht ziemlich gut aufgestellt. Es gibt ein sehr gut ausgearbeitetes Kinderschutzkonzept, das den Umgang mit Vorfällen von Fachkräften gegenüber Kindern, aber auch von Kindern untereinander klar regelt. So ist völlig klar, dass auffälliges Verhalten von Kolleg*innen angesprochen und im Zweifel der Leitung gemeldet werden muss. Wir haben in den letzten Monaten viel über die Akzeptanz von Kritik am eigenen Verhalten gesprochen und sind uns einig, dass es im Sinne des Kindeswohls nicht nur geboten, sondern auch legitim ist, auffälliges Verhalten zu melden und nicht wegzuschauen. Unseren Verhaltenskodex haben wir um den Punkt „Legitimität“ erweitert.

In diesem Jahr sollen die Eltern stärker in die Kampagne einbezogen werden. Wie wollen Sie die Eltern für das Thema gewinnen?

Den Elternrat haben wir frühzeitig über die Kampagne informiert, er ist auch in interne Maßnahmen mit einbezogen. Für den Einstieg in das Thema mit allen Eltern werden wir die Erweiterung des FRÖBEL-Leitbilds um das Rechts auf gewaltfreies Aufwachsen im Rahmen von Elternabenden oder Elterncafés thematisieren und auch unser Leitbild insgesamt noch einmal besprechen.
Wir versuchen, die Eltern gerade bei schwierigen Themen auf der sozial-emotionalen Ebene anzusprechen, indem wir vom Kind aus denken: Wie reagieren Kinder und warum reagieren sie so? Damit machen wir in Alltagssituationen im Kindergarten (Bring-/Abholsituationen) und im Rahmen von Angeboten für die Eltern sehr gute Erfahrungen. Wir haben außerdem Kontakt zu einem externen Referenten, der lange im Jugendamt gearbeitet hat. Er schafft es, schwierige Themen wie den Umgang mit Wut mit den Eltern auf humorvolle Weise zu besprechen, das ist sehr wertvoll. Im Moment sind wir auf dem Weg zum zertifizierten Familienzentrum, wodurch wir den Eltern noch mehr Angebote machen können – wir sind gespannt auf die neuen Impulse.

Das Recht der Kinder, „frei von Gewalt und mit Achtung ihrer persönlichen Würde aufzuwachsen“, hat Fröbel als Kinderrecht in das Pädagogische Leitbild aufgenommen, um den hohen Stellenwert des Schutzes der bei uns betreuten Kinder nach Innen und Außen noch sichtbarer zu machen: www.froebel-gruppe.de/leitbild